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Gute Absichten, wenig Konkretes: Die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie in Deutschland

Parul Kumar

Nachdem die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie im Koalitionsvertrag der Bundesregierungsparteien im November 2021 Erwähnung fand, wurde diese mit Spannung erwartet. Im Koalitionsvertrag wurden Schwerpunkte gesetzt wie die verstärkte Herstellerverantwortung, die Führung eines digitalen Produktpasses, die Erweiterung von Mehrwegsystemen, ein gesetzlich verankertes Fondsmodell für die Unterstützung von Rezyklaten, ambitionierte Standards und eine verbesserte Kreislaufwirtschaft für Lithium-Ionen-Batterien.

Am 20. April 2023 kündigte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) an.

Die NKWS: Ein Überblick

Die NKWS wird in vier Hauptteile untergliedert: (1) Ausgangspunkte, (2) Ziele, (3) Ansatzpunkte und (4) Rolle verschiedener Akteure, Institutionen, und Initiativen für die Weiterentwicklung der Strategie.

1. Ausgangspunkte

Inspiriert von dem Circular Economy Action Plan (CEAP) (2020) sowie dem Aktionsplan der EU für die Kreislaufwirtschaft (2014) auf der Ebene der Europäischen Union, setzt sich die NKWS als Leitbild in Deutschland zum Thema Kreislaufwirtschaft ein. Die Strategie wird folgendermaßen definiert: „Die NKWS soll eine Rahmenstrategie sein, in der die Bundesregierung Ziele, grundlegende Prinzipien und strategische Maßnahmen festlegt, die alle rohstoffpolitisch relevanten Strategien unterstützen.“ Es werden unter anderem Prinzipien genannt wie zirkuläre Wirtschaft in gesamten Produktlebenszyklen, der Einsatz von Sekundärmaterialien für die Einsparung Primärmaterialien, die Schonung natürlicher Ressourcen, die gezielte Gestaltung von Produkten für höhere Lebensdauern, Reparierbarkeit und ressourcenschonende Produktionsprozesse.

2. Ziele

Die NKWS legt fünf Ziele fest:

  1. Umwelt- und Klimaschutz durch verringerte Treibhausgasemissionen und Energieverbräuche mithilfe verbesserter Kreislaufführung in Industriebranchen wie Stahl, Aluminium, Kunststoffen, Zement/Beton und Chemie.
  2. Sichere Rohstoffversorgung durch längere Ressourcenerhaltung und Kreislaufführung, auch in Bezug auf kritischen Rohstoffen wie seltene Erden. Geplant ist hier ein rechtlicher Rahmen, unter anderem für das Angebot ökonomischer Anreize für Rezyklaten.
  3. Sicherung des Wohlstands für eine Wertschöpfung und stabile Arbeitsplätze durch die Übernahme einer Vorreiterrolle Deutschlands im Bereich Kreislaufwirtschaft und die damit verbundenen Produkte, Dienstleistungen und Technologien.
  4. Die Gestaltung von Rahmenbedingungen für eine faire und sozialgerechte Transformation, die nachhaltigen und bezahlbaren Konsum für alle Verbraucher:innen ermöglicht. Hier werden neue Geschäftsmodelle genannt, die auf Prinzipien wie „Nutzen statt Besitzen“ oder „Reparieren statt Wegwerfen“ beruhen.
  5. Die Vermeidung von gefährlichen Stoffen und das Ausschleusen von Schadstoffen sowie die Gestaltung von Produkten für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft im Einklang mit Nachhaltigkeitsstandards.

3. Ansatzpunkte

  • Die Fortentwicklung des rechtlichen Rahmens in Deutschland und der EU, insbesondere in Bezug auf Produktverantwortung und Ökodesign.
  • Die Entwicklung eines Fahrplans mit konkreten Zielen, Indikatoren und verbindlichen Maßnahmen, der sich auf Schwerpunkte konzentriert wie Sekundärrohstoffe, Ressourceneffizienz, höhere Lebensdauer und die Gestaltung von Produkten mit einem Fokus auf Reparierbarkeit und Zirkularität.
  • Die Analyse von zentralen Stoffströmen und Produktgruppen (z.B. mineralische Baustoffe, Metalle, Kunststoffe, biogene Rohstoffe) und die Entwicklung von zielorientierten Maßnahmen in diesem Zusammenhang.
  • Die effiziente und klimaschutzwirksame Nutzung von erneuerbaren biogenen Ressourcen.
  • Die Förderung von nachhaltigem Konsum durch Maßnahmen wie ökologisches Produktdesign und das Recht auf Reparatur.
  • Die Verbesserung von Innovations-, Investitions-, und Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und des Mittelstands im Bereich der zirkulären Wirtschaft.
  • Öffentliche Beschaffung als Treiber einer zirkulären Wirtschaft und Impulssetzung für ein kreislaufwirtschaftsorientiertes Vergaberecht auf nationaler und europäischer Ebene.
  • Erhöhung des Digitalisierungspotenzials für eine umweltfreundliche Produktion, neue Geschäftsmodelle (z.B. für die „Sharing-Economy“ und digitale Marktplätze für Sekundärmaterialien) und Informationsinstrumente (z.B. der digitale Produktpass).

4. Rolle verschiedener Akteure, Institutionen, und Initiativen für die Weiterentwicklung der Strategie

Die Rolle einer Reihe von Stakeholdern für die Weiterentwicklung der NKWS wird ebenso festgelegt. Die Wichtigkeit von Wissenschaft und Forschung im Zusammenhang mit Innovationen und neuen Technologien für die Kreislaufführung wird hier betont. Darüber hinaus wird die Relevanz von Initiativen seitens der Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft für eine breitere gesellschaftliche Unterstützung für die Kreislaufwirtschaft hervorgehoben. In der NKWS wird die Wichtigkeit von internationaler Kooperation und Völkerrecht betont, und in diesem Zusammenhang die Einhaltung von multilateralen Übereinkommen, unter anderem das Basler Übereinkommen und weitere Abkommen im Rahmen der Vereinten Nationen (z.B. UNEA, UNEP, UNFCCC). Die NKWS wird als „Gemeinschaftswerk“ benannt, in dem verschiedene Ressorts sich um die jeweils zuständigen Handlungsfelder kümmert. Ein Stakeholder-Prozess inklusive runden Tischen aus Expert:innen ist für das Jahr 2023 geplant. Ziel ist es, die Prozessergebnisse für die Weiterentwicklung der NKWS zu nutzen und diese in einem Beschluss Mitte 2024 bekanntzugeben.

Handlungsfelder für die NKWS

Die NKWS identifiziert acht Handlungsfelder:

  1. Kunststoffe
  2. Öffentliche Beschaffung,
  3. Fahrzeuge und Batterien,
  4. IKT und Elektrogeräte,
  5. Zirkuläre Produktionsprozesse,
  6. Metalle,
  7. Gebäude sowie
  8. Bekleidung und Textilien.

Abgesehen von der Nennung der Handlungsfelder bietet die NKWS kaum Inhaltliches. So wird die Chance vertan die Fortentwicklung dieser Themen voranzutreiben. Aus der Auflistung der Schwerpunktbereiche gehen die nächsten erforderlichen politischen Handlungsschritte nicht hervor.

Weitere Konkretisierung für die Gesetzgebung fehlt in der NKWS

Nach der Ankündigung bestimmter Ziele im Koalitionsvertrag wurde eine umfassende Strategie für die Umsetzung dieser Ziele erwartet. Die NKWS hat allerdings diese Erwartungen nicht zufriedenstellend erfüllt, da sie die Schwerpunkte des Koalitionsvertrags nicht ausreichend ausgebaut hat. In der NKWS wird lediglich festgestellt: „Wir fangen dabei nicht bei „Null“ an, sondern haben bereits Grundlagen mit dem deutschen und europäischen Kreislaufwirtschaftsrecht gelegt, das nun mit dem umfassenderen europäischen Konzept der Circular Economy weiterentwickelt wird“. Es ist daher umso überraschender, dass die Strategie nur sehr wenige und unkonkrete Vorschläge für die Weiterentwicklung der bestehenden Rahmen in Form von neuen Ideen oder Maßnahmen darlegt. Auffällig ist insbesondere das Fehlen von verbindlichen und quantifizierbaren Zielen und Zeitvorgaben.

In Deutschland gibt es schon seit 2012 ein Kreislaufwirtschaftsgesetz, das mehrere Themen wie Abfallhierarchie und Produktverantwortung abdeckt. Auch im Rahmen dieses Gesetzes muss alle sechs Jahre das Abfallvermeidungsprogramm angepasst oder fortgeschrieben werden, welches zuletzt 2021 veröffentlicht wurde. Trotz der Überschneidungen der Ziele des Koalitionsvertrags mit der NKWS gibt es keinen Ansatz, der auf dieser Grundlage aufbaut. Darüber hinaus gibt es bereits Gesetze, die sich mit spezifischen für die Kreislaufwirtschaft relevanten Sektoren befassen und mit denen die Strategie sich befassen hätte müssen, wie z.B. das Verpackungsgesetz und das Batteriegesetz.

Obwohl die NKWS an der einen oder anderen Stelle das Ziel zur Entwicklung eines Rechtsrahmens für eine verbesserte Kreislaufwirtschaft erwähnt, bleibt die Art der Regelungen unklar. Die Strategie orientiert sich an dem CEAP der Europäischen Union, ohne aber klar definierte Schwerpunkte und Meilensteine für den Gesetzgebungs-Prozess zu nennen. Der CEAP enthält im Anhang einen Zeitplan für den Zeitraum von 2020 bis 2023, mit Angaben zur Überarbeitung von EU-Richtlinien und Verordnungen. Zusätzlich werden darin neue Gesetze und Policy-Maßnahmen vorgeschlagen, um die Ziele des CEAP zu verwirklichen (einige davon werden im Folgenden erörtert). Der angekündigte Ziele- und Maßnahmen-Fahrplan der NKWS, hätte sinnvollerweise Teil dieser Strategie sein müssen.

Im Strategiedokument heißt es, dass parallel zur Formulierung von Leitfragen und Impulspapieren vom BMUV „Rechtsetzungsvorhaben und sonstige Maßnahmen in den verschiedenen Bereichen der zirkulären Wirtschaft betrieben“ werden. Dass im Strategiedokument selbst keine Maßnahmen, rechtlichen Bedürfnisse sowie verbindlichen Ziele Erwähnung finden, ist ein Schwachpunkt. Obwohl der Stakeholder-Dialog, der zur Weiterentwicklung der Strategie beiträgt, eine begrüßenswerte Entwicklung ist, werden auch im Zusammenhang mit dem Dialogprozess keine Schwerpunkte für die Diskussion erwähnt. Die NKWS zeigt, dass das Thema für die Bundesregierung zwar wichtig ist, allerdings die Chance, eine klare Struktur für die Weiterentwicklung eines rechtlichen Rahmens zu schaffen, verpasst wird. Die Strategie hätte für jeden der ausgewählten Themenbereiche bereits die jeweiligen Herausforderungen und Handlungsbedarfe klarer durchdeklinieren müssen, um sich im nächsten Schritt stärker auf die gesetzliche Ebene und deren Umsetzung konzentrieren zu können.

Die Deutsche Kreislaufwirtschaftsstrategie muss mit den Entwicklungen auf EU-Ebene Schritt halten

Das Thema Kreislaufwirtschaft gewinnt immer mehr an Bedeutung. Viele Themen, die die NKWS nur kurz erwähnt, stehen bereits auf der gesetzgeberischen Agenda der EU. Auf EU-Ebene gab es in letzter Zeit zahlreiche Entwicklungen für die Fortführung der Kreislaufwirtschaft-Agenda: Im März 2022 wurde ein Paket mit EU-Kommissionsvorschlägen zu Themen wie Ökodesign für nachhaltige Produkte, nachhaltige und kreislauffähige Textilien und Bauprodukte vorgelegt. Im November 2022 kamen weitere EU-Kommissionsvorschläge zur Überarbeitung von Rechtsvorschriften zur Verpackung sowie ein Rahmen für biobasierte, biologisch abbaubare und kompostierbare Kunststoffe. Im März dieses Jahres hat die EU-Kommission eine Richtlinie für das Recht auf Reparatur vorgeschlagen. Ebenfalls im März 2023 wurden Aspekte der Kreislaufwirtschaft auch im Rahmen der Industriestrategie stärker in den Vordergrund gerückt: Beispielsweise hat der EU-Kommissionsvorschlag zur Verordnung für kritisches Rohmaterial Schwerpunkte für deren Kreislaufwirtschaft gesetzt, und der EU-Kommissionsvorschlag zum Netto-Null-Industrie-Gesetz („Net Zero Industry Act“) beschäftigt sich mit der umweltfreundlichen öffentlichen Beschaffung.

Diese Entwicklungen zeigen, dass der sehr wichtige Aspekt der Kreislaufwirtschaft im Konsumbereich auch im Industriebereich stärker berücksichtigt werden muss, um eine Transition zur Klimaneutralität zu erzielen. Die Weiterentwicklung der NKWS muss all diese Elemente umfassend berücksichtigen und alsbald konkrete Maßnahmen auf rechtlicher Ebene vorschlagen.